Thomas Kunst mit neuem Auswahlband

Von Tomas Gärtner, Dresdner Neueste Nachrichten 29.06.2015

Sie entwickeln einen eigentümlichen Sog, diese langen Gedichte von Thomas Kunst. Es ist dieser besondere Ton. Da spricht einer, erzählt, bekennt, man lauscht gebannt. Lässig fließt es ein Stück in vertrauten Redewendungen, doch, zack, stößt man auf solch sperriges Sprachtreibgut: „unter der steifen Ausschöpfung / Eines jeglichen Muskelsüdens“. Man stutzt, wendet‘s um und um, aber es bleibt rätselhaft. Und so etwas findet man reichlich: „hochgebundener Schnee“, „Kabinenwurzeln“, „Mondänes Tennisgeklimper mit Küste und /Harten Möwen“ oder „Garantien der Ausgekratztheit“. Aber manche dieser verrückten Wortmontagen verbreiten unversehens ein erhellendes Licht: „Glücksgewebe“ zum Beispiel. So hat man das noch nie gehört, aber ja, es stimmt.

Und dann begegnen einem Wortfügungen, die wunderbar leuchten: „Berührungen sind Trümmer, kein Besitz“ zum Beispiel findet man in einem der Sonette, die in geforderter Strenge zu bauen dieser Dichter souverän beherrscht. Ein Gedicht beginnt: „Du musst mich diese rauschhaften Feste schon zu Ende feiern lassen“. Vielleicht sind diese Verse vor allem dies: rauschhafte Feste der Poesie. Wie immer man sich durch diese Zeilen bewegt, sich mal angesprochen fühlend, dann wieder fremdelnd, man hat es mit einer kraftvollen Sprache zu tun, die vor allem eines vernehmen lässt: Leidenschaft; eine, die bisweilen in Verzweiflung stürzt, sich bis zu wütenden Ausrufen steigern kann. Es ist eine Sprache, die unsere Sinne weckt: „Strand hat den / Geruch in See geschleuderten Grases“, heißt eseinmal. Von „Schweiß und Salz“ ist die Rede. Hier liegen die kräftigeren Aromen in der Luft.

Ein großartiges, nicht von ungefähr Wolfgang Hilbig gewidmetes Sonett endet: „Auf Bahnhöfen hat er das Meer gerochen. / Ich lieb nur wenig Dichter, nie gesunde – / Und den Geruch nach Schotter, Jod und Flaute.“ Aber Gelegenheit, herzhaft zu lachen, bekommt man ebenfalls. Wenn er etwa einen englischen Skispringer seinen einstigen Schanzenrekord auf der Wohltätigkeitsveranstaltung in einem Schloss mittels aufgespannter Wachstischdecken nachstellen lässt.

Die wichtigsten Gedichte des in Stralsund geborenen, seit 1987 in Leipzig lebenden Autors finden wir in einem Auswahlband, ein Geschenk des Dresdner Verlegers Helge Pfannenschmidt (Edition Azur) zum 50. Geburtstag von Thomas Kunst. Beide haben dieses individuell und durchdacht gestaltete Buch mit Versen, die zwischen 1984 und 2014 entstanden sind, jetzt in der Dresdner Buchhandlung Büchers Best vorgestellt. Entschieden scheint Thomas Kunst seinen eigenen Weg gegangen zu sein.

So, dass ihn nicht einmal die politische Wende 1989 sonderlich berührte, wie er sagt. „Ich schreibe Liebesgedichte, egal, was draußen los ist. Mein Personal sind Männer und Frauen. Dazu kommen Tiere. Aber wenn ich über die schreibe, sind auch das Liebesgedichte.“ Was Thomas Kunst in der Dichtung der Gegenwart vermisst: „Kühnheit, Frechheit, Phantasie, Dreistigkeit“. Und auch Dreck gehört für ihn in die Literatur. Gar nichts jedenfalls hält er von einer theoretisch überfrachteten Lyrik. So ätzt er hin und wieder in seinen Versen gegen Universitäten. Einfacher zu werden, danach strebt er: „daß man das fast nicht mehr für Dichtung hält“.