Der Leipziger Dichter THOMAS KUNST präsentiert ein Best-of
von Dorothea von Törne
Liegt es am unaufgeregten Parlando seiner Verse, dass Thomas Kunst nach 30 Jahren literarischer Präsenz noch immer nur wenigen bekannt ist? Der 1965 in Stralsund geborene, seit 1987 in Leipzig lebende Dichter, Romancier und Musiker hat aus seinen acht Lyrikbänden nun ein „Best-of“ gefiltert, in dem seine unverwechselbar melancholische Melodie aufs Schönste zu hören ist. Teils absurde Titel ziehen den Leser sofort hinein: „ Man weiß nie wie alles kommt, aber“ oder „Ich bin mit meiner Ameise gegen Ezra Pound angetreten“.
Der Band enthält Langgedichte, ungebundene Verse in brillanter Kürze und exakt gebaute Sonette mit überraschenden Reimen. Immer geht es um Existenzielles. Kunst sinnt dem Thema nach, „wie es geht, nicht unterzugehen“. Er spricht von Liebe und Tod, dem „“Überstehen“ von Grenzen, von Vergeblichkeit, Begehren und Einander-Verfehlen und vom Vermissen. Und er übt sich im leicht ironischen bis kräftig satirischen Umgang mit Unzulänglichkeiten.
Die Gedichte sind nicht monologisch, sondern dialogisch angelegt. Angeredet wird ein Du, das der Leser sein kann, der Autor selbst oder eine der Figuren, die seine Verse bevölkern: Meeresküstenbewohner, Trucker auf nordamerikanischer Ice Road, ein Gastprofessor in Südkorea, ein Entwicklungshelfer auf Mombasa Island. International ist die Besetzung, doch selbst bei überbordend Narrativem geerdet im Sozialen. In allen Rollen aber scheint das Ich unbekümmert zu scheitern, nur als Bewohner eines Dinosaurier-Hauses im Naturreservat Wye Valley behält es den Überblick. Vater, Mutter und Kinder vagabundieren durch die Verse, vor allem aber Frauen, mit denen Harmonie dauerhaft tragikomisch misslingt. Den Leser vergnügen Flüge im Heißluftballon und Landschaften mit seltsamen Tieren.
Das Ganze ist nicht jugendfrei, denn es wird – sparsam, aber wohlplatziert – mit saloppem erotischen Vokabular jongliert, reichlich Schnaps getrunken und mit literarischen Geistesverwandten angestoßen. Unter ihnen befinden sich Dichter wie Nicolas Born, Heiner Müller, Jörg Fauser, Ulrich Zieger und Wolfgang Hilbig. Letzterem hat er das Gedicht „In Deutschland gibt es keine Dichter mehr“ gewidmet.
Wenn Kunst im Nachwort behauptet, er halte sich mit poetologischen Äußerungen zurück, ist er ein Schelm. Denn immer wieder greifen seine Gedichte in literarische Diskurse ein. Sie erkunden das Wesen der Poesie als Kommunikations- und „Schutzraum“, etwa in „Wenn ich jetzt sterben würde“, einem tröstlichen Gedicht über den Tod. Gegen jede leidenschaftslose, verkopfte Poesie setzt er die „mutwillige Schönheit der Gedichte. Und den naiven / Reichtum an Beziehungstrost und Wut“.
Tagesspiegel 14.10.2015
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