Am Küchentisch wird mit aufblasbaren Münzen bezahlt

Neue Gedichte des Leipziger Lyrikers Thomas Kunst

Harald Hartung, Faz, 17.08. 2017

Unter den Büchern, die der Leipziger Autor Thomas Kunst seit den neunziger Jahren veröffentlicht hat, gab es einen Gedichtband mit dem Titel „Kunst“. Das war nicht nur ein Jux mit dem eigenen Namen, es war auch das Bekenntnis zu Form und Artistik. Kunst probierte seine Kunstfertigkeit vor allem an Sonetten und Sonettenkränzen aus – mit Paten wie Rimbaud, Rilke oder Brecht.

Jetzt aber hat Kunst gewechselt. Zunächst einmal den Verlag. Statt in einem Kleinverlag erscheint der neue Gedichtband in einem unserer ersten Häuser. Doch der neue Autor strebt nicht einen Platz im Olymp an, sondern eher im Parterre: Er gibt sich als hemdsärmeliger Pop-Autor. Der Buchtitel spannt so Heterogenes wie „Kolonien und Manschettenknöpfe“ zusammen, und als Cover erscheint das Farbfoto eines leeren Rummelplatzes. Der Band umfaßt sechs Kapitel mit doppelten Titelformulierungen wie „Disziplin der Idioten / Wasserkerne“, „Fingerwäsche / Konferenzen“ oder „Sonett in den Bergen / Von all unseren Kameraden“. Dagegen bleiben die Gedichte titellos. Es sind meist Texte in rhythmisierter Prosa.

Dazwischen finden sich, als Relikte früherer Produktionen, acht Sonette und einige gereimte Kurzgedichte. Es ist nicht leicht, in Kunsts neuen Texten thematische Kohörenz und strukturelle Konsistenz zu erkennen. Beides scheint nicht beabsichtigt. Der Autor überläßt sich lieber dem Fluß seiner Einfälle. Manchmal setzt sich aus Gedankensprüngen so etwas wie eineGeschichte zusammen. Etwa die von den Tieren in Tüten: Unsere Tiere an der/ Grenze in Tüten, aber unsere Tiere laufen an/Der Grenze in den Tüten nicht im/ Kreis.“ Zuletzt, wenn die Tiere bei Schräglage in der Luft nach Stufen tasten, heißt es: „Aber wir glauben nicht daran.“ Was bringt diese Einsicht?

Gut, auch Salvatore Dali hätte keine Tiere in Tüten gemalt. Thomas Kunst ist um extraordinäre Einfälle bemüht. Etwa: „Den Kaugummi hätte ich während des Bankgesprächs / Getrost drinlassen können.“ Oder: „Zuhause sind wir der Demenz näher als der Unregierbarkeit.“/ „Wir bezahlen am Küchentisch mit aufblasbaren Münzen.“ Das sind Einfälle, die weder provokativ noch poetisch sind.

Der Kaugummi im Mund ist allenfalls schlechtes Benehmen, die aufblasbaren Münzen schlechter Surrealismus. Den Motiven fehlt, was Joyce die profane Epiphanie nannte, welche die Seele des gewöhnlichsten Objekts strahlen läßt. Einmal ist er diesem Epiphanischem nahe, wenn er in einem Venedig-Sonett schreibt: „Die Schiffe demonstrieren hier verlegen,/ Wie Häuser sich an Häusern lang bewegen.“ Hier ist der Reim, der ironisch die Eindrücke zu einem Bild faßt.

Und wenn Ironie an Selbstironie grenzt, stimmt man auch der folgenden Frage zu:

„Wieviel / Verändert sich, wenn Jamben durch Verlage / Verschiedener Herkunft rinnen.“