bemerkte einmal Paul Valéry, als zu sehen, wie Voraussagen, die man gemacht habe, sich erfüllten. Was erst einmal eine simple Erkenntnis ist. Die Valéry allerdings, ganz wie es seine Art ist, noch im selben Satz zu einer virtuosen Schlussfolgerung hinaufschraubt: Offenbarten sich doch diese erfüllten Voraussagen letztlich als kaum mehr als „eine Art Demonstration, wie armselig das Mögliche ist.“

„Die Arbeiterin auf dem Eis“ heißt der neue Band des Leipziger Lyrikers Thomas Kunst. Es ist sein inzwischen vierzehnter und ihm vorangestellt ist Valérys Satz, dem dann auf gut 130 Seiten und in sechs Kapiteln etwas folgt, was man im Grunde als eine Demonstration des Unmöglichen bezeichnen muß. Sind doch die auf diesen Seiten versammelten Texte- Gedichte und Briefe- eine hochpoetische Selbstbehauptung in Trotz und Schönheit, wie man sie eben kaum noch für möglich hält. Und fast ein Ärgernis mag sein, daß diese Lektüre- und das ist bei Kunst wahrlich nichts Neues- so zwangsläufig, allein schon aus ihrer Qualität heraus, auch auf etwas verweist, das man beim Lesen im Grunde gern ignorieren würde, aber nicht kann: auf einen Literaturbetrieb, der fast in Gänze fixiert ist auf die Armseligkeiten des Möglichen und somit die Bücher von Thomas Kunst mit weitgehender Ignoranz straft.

Es verdankt sich dem kleinen Dresdner Verlag Edition-Azur, der, diese Armseligkeiten ignorierend, mit der „Arbeiterin auf dem Eis“ jetzt diese Unmöglichkeit namens Poesie riskiert, mit einem Buch, in dem sie durchaus auch umgeht, die Wut über jene „selten bleiche und blutleere Gedichtattrappen, starre Gebilde ohne Trotz und Sprachverlangen“, also über jene allgemein hofierte Gegenwartsliteratur einer anämisch- technokratischen Betriebsamkeit, von der Kunsts Texte so weit entfernt sind wie nur irgendwas.

„Die Arbeiterin auf dem Eis“ ist ein Buch zwischen Innehalten und Furor. Es gibt darin das Kontemplative, das Sprachversunkene und zugleich das Aufbrausende, Überbordende. Selbstbehauptung, Sehnsucht, Trotz: „Ich werde solange mit dir am Strand spazieren/ Gehen, bis du mich liebst“ droht da gleich die erste Zeile des ersten Gedichts und läßt eine mehrseitige Wanderung folgen. Das Gehen ist hier eine Fortbewegung im emotionalen Eis, immer am Meer entlang, von Zingst angefangen, rüber nach Karelien, weiter bis zur Ostsibirischen See. Geographie als Sprachlandschaft, gezackt und schartig wie die Küstenstriche auf Landkarten. Die Zeit rinnt dazu in Jahren durch die Zeilen und nicht ganz, aber fast, ist das Ende dieses freischwingenden Wanderliedes ein Happy End in Resignation: „…ich gefalle mir nicht mehr, du gefällst/ Mir nicht mehr, jetzt können wir von mir aus für immer zusammenbleiben.“

Den Sogcharakter dieser Langgedichte, von denen dieser Band noch einige wunderbar zwischen Absurdität und Elegie changierende Prachtexemplare aufzuweisen hat, läßt Kunst dabei immer wieder mit der Formstrenge jener zahlreichen Sonette kontrastieren, die im Kontext sowohl dramaturgisch als auch klanglich wie Kontrapunkte funktionieren. Die Musikalität dieses Buches ist immens. Sie zeigt sich in der Gesamtkomposition genauso wie im einzelnen Gedicht, der einzelnen Strophe, jedem Vers: „Es hat auch einen Nachteil, zu vergeben/ Ich hab verstanden, was man nicht versteht./Man bleibt nicht attraktiv, wenn man nicht geht/ Und liegt mit jeder Angst ein Wort daneben.“  Das ist reine Melodie.

Es gibt die Briefe, die Kunst an Feridun Zaimoglu schreibt, dem Freund, der hier Feri-San heißt, Briefe, als ein Gehen entlang der gezackten, schartigen Biographie-Linie. Da ist das berührende Selbstportrait des Künstlers als junger Mann in der DDR, samt Baby-Tochter und Literatur: „Wenn mein Engel schläft, ich ihre Windeln gewaschen, sie gefüttert und hingelegt habe, schreibe ich. Dieses Gefühl würde ich am liebsten für immer bewahren, das Gefühl eines durch und durch sinnvollen Daseins mit Arbeit und schlafendem Kind.“ Und das Resümee, Dekaden später: „Nichts als Gedichte, seit über achtundzwanzig Jahren nichts anderes, als die sture und unverbesserliche Immunität gegenüber einer jeglichen Nivellierung“. Samt dem Preis, den das kostet: „Mit jedem neuen Buch niemals anwesend.“ Es ist an der Zeit, das zu ändern.